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Virtuelle Läufe – Notlösung oder echte Wettkampfalternative?

So, jetzt laufen wir also virtuell.
Nein, das bedeutet nicht, dass Du auf dem Sofa sitzt und irgendein hübscher Avatar für Dich in die Laufschuhe steigt. Du musst Dich durchaus selbst bewegen und Dich dabei mehr oder weniger anstrengen.

 

Virtuelle Läufe sind aus der Not geboren. Nachdem bereits im letzten Jahr kaum eine Laufveranstaltung live stattfinden konnte und auch aktuell noch einiges an Phantasie dazugehört sich vorzustellen, mit mehreren Hundert oder Tausend Läufern an einer Startlinie zu stehen, war und ist die Kreativität der Laufveranstalter gefragt. In der Natur der Sportler liegt es, sich mit anderen zu vergleichen. Wenn das nun live und in Gruppen nicht möglich ist, dann müssen Alternativen her.

 

Recht schnell waren also die virtuellen Läufe geboren und werden als DIE Lösung für jeden Läufer angeboten: ambitionierte Läufer müssen nicht auf ihre Wettkämpfe verzichten, schüchterne Anfänger können entspannt und ohne Druck ihre ersten Wettkampferfahrungen sammeln, Du kannst ohne Reisekosten und Aufwand endlich auch an internationalen Wettkämpfen teilnehmen und virtuell durch London, Paris oder New York laufen, Du musst nicht mehr auf Deine Wettkampfziele im Trainingsplan verzichten und wenn Du magst kannst Du mit den Läufen auch noch was Gutes tun.

 

Das hört sich doch super an. Sind die virtuellen Läufe also eine echte Alternative? Oder doch eher eine Notlösung?

 

Fangen wir doch erstmal mit der Frage an:

Was sind denn eigentlich genau virtuelle Läufe? Gibt es da Unterschiede? Wie funktionieren sie?

 

Grundsätzlich sind virtuelle Läufe gar nicht so virtuell wie der Name es suggeriert. Du musst Dich schon selbst bewegen, und zwar ganz real. Meistens wird von den Veranstaltern sogar vorgegeben, dass der Lauf draußen stattfinden muss und nicht auf dem Laufband. Da aber die großen Zusammenkünfte, wie wir sie von Laufevents kennen, alles andere als coronakonform sind, mussten halt andere Lösungen gefunden werden um gemeinsam, aber eben doch alleine zu laufen. Und diese Lösungen fanden sich recht schnell in der digitalen Welt, die natürlich auch schon bei den realen Veranstaltungen eine Rolle spielte. Anmeldungen, Teilnehmer- und Ergebnislisten, Streckeninfos und Ausschreibungen finden sich schon seit vielen Jahren im Netz.

 

Wie funktionieren virtuelle Läufe also?

Für die virtuellen Läufe gibt es mittlerweile ebenso Laufkalender, wie bisher auch schon für die realen Läufe. Übersichten findest Du z. B. im Laufkalender von Runner´s World oder auf Lauftreff.de.

Die Anmeldung findet wie auch bei den realen Läufen meistens über die Veranstaltungsseite statt. Hier kannst Du Dich ggf. für eine Distanz oder ein Paket entscheiden und Extras, wie Finishershirts oder Medaillen buchen. Auch bei den virtuellen Läufen wird ein Startgeld fällig.

Im Anschluss erhältst Du in der Regel eine Bestätigung Deiner Anmeldung mit konkreten Hinweisen zum Ablauf und Dein Name erscheint in der Teilnehmerliste. Häufig wirst Du von den Veranstaltern kurz vor den Läufen auch nochmal erinnert und erhältst aktuelle Informationen.

Wenn Du Deinen Lauf absolviert hast, musst Du Deine gelaufene Zeit nachweisen und dafür einen Screenshot Deines Laufs, bzw. ein Foto von Deiner Uhr hochladen. Das ist über einen zugesendeten Link absolut problemlos zu bewerkstelligen, ich habe damit bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Manche Veranstalter nutzen auch Apps, hier entfällt dann das Hochladen der Daten.

Nach dem Lauf erhältst Du meist recht zeitnah Deine gebuchten Extras wie Shirt oder/und Medaille. Eine Urkunde kannst Du Dir oft direkt runterladen oder bekommst sie sogar per Mail zugeschickt. In der Ergebnisliste kannst Du Dich mit Deinen Mitstartern vergleichen. Bei manchen Läufen findest Du ein Ranking wie Du es auch von realen Läufen gewohnt bist, bei anderen geht es weniger um die Leistung, sondern eher um das „gemeinsame“ Laufen. Hier findest Du dann, z. B. nach Startnummern geordnet, die gelaufenen Zeiten.

 

Es gibt jedoch einige, schon interessante Unterschiede zwischen den virtuellen Läufen:

  1. Du läufst alleine, an einem Ort Deiner Wahl, eine zuvor gewählte Distanz, in einem vorgegebenen Zeitraum.
    – Bei Deiner Anmeldung entscheidest Du Dich für eine vom Veranstalter vorgegebene Distanz. Wie bei realen Läufen stehen häufig mehrere Optionen zur Auswahl, z. B. 5km, 10km, Halbmarathon oder Marathon.
    – Den Lauf absolvierst Du dann alleine auf einer beliebigen Strecke, unter Einhaltung aller Coronaregeln.
    – Der Veranstalter gibt den Tag oder den Zeitraum vor, an/in dem Du den Lauf absolvieren musst.
    – Deine Ergebnisse übermittelst Du dann in einer offiziellen Form, also über eine Trackingplattform wie z.B. Strava, Runtastic, der Garmin App, etc.
    – Dieses Format gibt es häufig bei offiziellen Läufen mit einem Ranking in der Ergebnisliste.
  2. Du läufst alleine, an einem Ort Deiner Wahl, eine Distanz Deiner Wahl, in einem vorgegebenen Zeitraum
    – Der Ablauf ist fast identisch mit der ersten Variante.
    – Ein Unterschied ist, dass Du die gelaufene Distanz selbst wählst, ohne Vorgabe vom Veranstalter.
    – Weiterhin reicht für die Ergebnisübermittlung oft ein Foto Deiner Uhr.
    – Bei diesem Format geht es „nur“ um den Spaß an der Sache, ohne jeglichen Leistungsgedanken. Manchmal sind diese Läufe auch an wohltätige Zwecke gekoppelt.
  3. Du läufst alleine, eine Distanz Deiner Wahl, in einem vorgegebenen Zeitraum, auf der original Wettkampfstrecke
    – Auch hier ist der Ablauf im Wesentlichen identisch mit der ersten Variante.
    – Du läufst hier allerdings nicht wo Du möchtest, sondern begibst Dich zu der Strecke, die in einem realen Wettkampf gelaufen würde und läufst diese ab. In der Regel werden diese Strecken vom Veranstalter hervorragend ausgeschildert oder Du erhältst den GPX-Track und kannst Dich von Deiner Uhr navigieren lassen.
    – Die Zeitübermittlung erfolgt unterschiedlich, bei manchen Läufen erhältst Du sogar einen Chip, der Deinen Lauf trackt.
  4. Du läufst alleine, auf einer Strecke Deiner Wahl, an einem festgelegten Tag zu einer festgelegten Uhrzeit
    – Der ein oder andere wird dieses Prinzip vom jährlich stattfindenden „Wings for life Worldrun“ kennen.
    – Alle Teilnehmer starten zur gleichen Zeit, wenn auch nicht am gleichen Ort, und laufen entweder eine vorgegebene Strecke, oder eine bestimmte Zeitspanne, wie z.B. im Fall des „Wings for Life“ so lange, bis Dich das Catcher-Car eingeholt hat.
    – Die Zeitnahme erfolgt über eine App, die Du Dir vor den Lauf runterlädst.
    – Über diese App erhältst Du, wenn Du es möchtest, während des Laufs Infos, Anfeuerungen, ein Signal, wenn Du über die Ziellinie läufst oder auch Deine Zwischenzeiten.
  5. Und dann gibt es auch noch ganz besondere Aktionen, bei denen Du für eine Zeitspanne gleich mehrere Aufgaben gestellt bekommst, die Du erledigen muss, alleine, auf Deiner selbst gewählten Strecke
    – Ein Beispiel könnte hier z.B. der “No Rest for the Wicked 2021 – Schinder-Trail” sein, ein Lauf gegen Deinen inneren Schweinehund.
    – Es gibt kein Ranking, hier geht es nur ums Laufen und um Dich.
    – Bei diesem speziellen Lauf musst Du in einem Monat an jedem der 7 Wochentage und zu jeder der 24 Stunden eine Lauf- oder Walkingeinheit starten. Eine echte Herausforderung, vor allem für den Kopf.
    – Es gibt auch virtuell gelaufene Backyards oder Treppen- oder Bergläufe. Wenn Du an solchen Challenges Gefallen findest, dann schaue einmal ganz gezielt danach. Du wirst sicher einiges finden.
  6. Und last but not least gibt es jede Menge Mottoläufe, bei denen Du meist alleine, an einem Ort Deiner Wahl, eine zuvor gewählte Distanz, in einem vorgegebenen Zeitraum läufst.
    – Hier steht der Spaß im Vordergrund und Du erhältst in der Regel ein sehr umfangreiches Starterpaket, das neben einer Startnummer, einer Medaille, einem Shirt auch schon mal einen Prosecco, eine Blumenkette, Schminkutensilien oder eine Nikolausmütze enthalten kann – je nach Motto des Laufs.

 

Jetzt stellt sich die Frage: Was können diese Läufe? Warum macht man sowas? Was bringen sie?

Wie ich oben schonmal kurz angerissen habe, liegt es im Wesen von Sportlern sich zu vergleichen. Ich kenne einige Läufer, denen Zeiten und Distanzen komplett egal sind und die laufen, weil sie Freude an der Bewegung haben, gerne in der Natur unterwegs sind, sich beim und nach dem Laufen gut fühlen und für die die Bewegung an sich Anreiz genug ist loszulaufen.

 

Viele Läufer setzen sich aber gerne Ziele und verfolgen diese anhand von Trainingsplänen, die Struktur in das Training bringen und auch dazu dienen am Ball zu bleiben und den Schweinehund ein bisschen in die Schranken zu verweisen. Wettkämpfe sind in diesen Plänen wichtige Meilensteine und machen ganz nebenbei auch einfach Spaß.

 

Durch Corona sind nun diese Meilensteine und Ziele weggefallen. Auch bei meinen Klienten habe ich gemerkt, dass der ein oder andere ganz schön ins Schwimmen kam und sich erstmal wieder auf den wirklichen Grund besinnen musste, aus dem er läuft und sich bewegt. Dieser hat oftmals wenig mit Leistung und Wettkampf zu tun, dafür ganz viel mit Gesundheit und Wohlergehen. Dennoch fehlen die in den letzten Jahren so liebgewonnenen Wettkämpfe.

 

Was können die virtuellen Wettkämpfe?

  • Die virtuellen Wettkämpfe geben Dir das Gefühl ein Ziel zu haben. Du kannst sie in Deinen Trainingsplan schreiben und Dein Training auf sie ausrichten.
  • Sie motivieren Dich am Ball zu bleiben, schließlich möchtest Du die Strecke gut absolvieren und Dir Deine Medaille verdienen, oder einen guten Platz in der Ergebnisliste erreichen.
  • Sie geben Dir den letzten kleinen Anstupser, wenn Du Dich bei schlechtem Wetter doch mal vor einem Lauf drücken möchtest.
  • Durch sie kannst Du ggf. einmal eine andere Strecke erleben als die, die Du tagtäglich läufst (wenn Du einen Lauf wählst, der auf der Originalstrecke absolviert wird, oder den Lauf einfach mal als Anreiz nimmst, woanders zu laufen).
  • Du kannst, wenn auch auf Distanz, mal wieder einen Hauch von Gruppengefühl spüren. Vielleicht motivieren Dich ja auch Posts in verschiedenen Socialmedia-Gruppen, die oft bei den Läufen angeboten werden.
  • Ganz sicher sind die Läufe ein Highlight für Medaillensammler. Diese sind oft sehr besonders und hochwertig.
  • Nicht zuletzt unterstützen diese Läufe die Laufveranstalter, die aktuell echt schwere Zeiten durchmachen.

 

Wo aus meiner Sicht die Grenzen sind:

Dafür muss ich vielleicht zunächst einmal kurz beschreiben, was für mich den Reiz von Wettkämpfen ausmacht.

 

Ein Wettkampftag ist ein ganz besonderer Tag, der oft schon am Vortag beginnt. Mit einem leisen Kribbeln, dem Packen der Tasche, der Suche nach dem Chip und den Magneten/Sicherheitsnadeln für die Startnummer, dem Heraussuchen der Laufsachen.

Bei der Anreise steigt der Puls so langsam und nach dem Gewühl an der Startnummernausgabe und der Freude, viele bekannte Gesichter zu sehen, steigt der Adrenalinspiegel spätestens im Startblock.

Nach dem Start geht es darum in den Tritt zu finden und vielleicht einen Läufer, den man im Auge behalten und vielleicht am Schluss überholen kann. Kleine Battles auf der Strecke, um die man sich keine Gedanken machen muss, die autofrei und abgesperrt ist. Der ein oder andere liebevoll bestückte Verpflegungspunkt, die anfeuernden Rufe der Zuschauer, der Zieleinlauf und natürlich die Zielverpflegung und die begeisterten Gespräche nach dem Lauf. All das brauche ich, um wirklich das Letzte aus mir rauszuholen und an oder über meine Leistungsgrenze zu gehen.

 

Vieles davon können virtuelle Wettkämpfe einfach nicht.

  • Ich laufe weiterhin auf eher bekannten Strecken. Vielleicht mache ich es mir durch die Streckenwahl leichter oder unbewusst auch schwerer. Zumindest fehlt die Vergleichbarkeit mit anderen Läufern.
  • Wenn ich mich nicht selbst ordentlich quälen und in den Pöppes treten kann, dann werde ich ohne das Adrenalin und die ganze Wettkampfatmosphäre nur schwer an meine Leistungsgrenze kommen. Oft sind die Läufe nicht mehr als ein intensiver Trainingslauf. Wieviel das ausmacht, das mussten einige meiner Läufer sehr erstaunt und durchaus enttäuscht feststellen.
  • Für mich haben die Läufe recht schnell an Reiz verloren. Nun bin ich nicht der große Medaillensammler, kann mich selbst recht gut zum Laufen motivieren und muss auch nicht zwangsläufig Bestzeiten laufen. Am ehesten kommen für mich Läufe nach dem “Wings-for-Life-Vorbild” an reale Wettkämpfe ran. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.
  • Einige der Läufe sind im Vergleich zu der gebotenen Leistung teuer. Es finden sich aber auch viele virtuelle Läufe mit fairen Preisen und tollen Leistungen, da lohnt es sich genau hinzuschauen. Auch sind auf den “virtuellen Zug” einige Veranstalter aufgesprungen, die sich bisher in dem Bereich nicht tummelten und die keine große Erfahrung mit Laufveranstaltungen haben. Das ist dann selbst bei “nur” virtuell organisierten Läufen zu spüren.

 

Mein ganz persönliches Fazit

Wie so oft im Leben kommt es darauf an, was Du erwartest.

 

Die virtuellen Läufe haben die Laune gehoben und die Enttäuschung über die vielen Absagen ein wenig gemildert. Irgendwie hatte man doch ein kleines bisschen das Gefühl ein Teil des vielleicht schon sehr lange geplanten Events zu sein. Der ein oder andere hat sich durch die virtuellen Läufe auch zum ersten Mal an einen Lauf getraut und eine hübsche Medaille oder ein schönes Shirt ergattert. Ganz sicher haben die Läufe für einen kleinen Strohhalm bei manchem Laufveranstalter gesorgt.

 

Als Leistungskontrolle eignen sich die virtuellen Läufe/Wettkämpfe nur bedingt. Wer es in einem alleine absolvierten intensiven Tempotrainingslauf nicht schafft sich zu Höchstleistungen zu motivieren, dem wird der virtuelle Anreiz auch keine Raketen in die Schuhe und neue Bestzeiten auf die Uhr zaubern.

 

Wer sich allerdings durch eine virtuelle Gemeinschaft, z. B. auf Facebook oder Instagram, durch eine Medaille, ein schönes Shirt oder den simplen Akt der Anmeldung motivieren lässt, für den können die Läufe ein echter Anreiz sein, sich vielleicht einmal an eine neue Distanz zu wagen, den Schweinehund in seine Schranken zu verweisen, oder aus dem gewohnten Trott auszubrechen und ein paar Briketts aufzulegen um die eingefahrene Pace zu verlassen. Die Veranstalter legen sich da ordentlich ins Zeug, posten und mailen, kreieren wunderschöne Medaillen und Shirts und geben alles, um die Läufe auch virtuell zu einem Erlebnis zu machen.

 

Spannend finde ich dann wieder die Läufe, die eher Challenges gleichen. Manches lässt sich nicht mit meinem Zeitplan oder Trainingsumfang vereinbaren, den Spaßfaktor finde ich hier aber vergleichsweise hoch!

 

Vielleicht hast Du jetzt ja auch ein bisschen Lust bekommen und testest mal das ein oder andere Format. Einfach machen, es könnte ja gut werden! Möglicherweise kannst Du so mal einen Lauf ein bisschen aufpeppen, aber vielleicht stellst Du auch fest, dass das so gar nichts für Dich ist. Eine Erfahrung wert ist es auf jeden Fall.

 

 

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