Skip to main content
Annika Söllinger

Sportler mit Covid-19: Ein Erfahrungsbericht

Ein Interview mit Annika Söllinger

Corona, oder besser gesagt, das Virus Covid-19, macht dieses Jahr besonders. Irgendwie ein bisschen unwirklich und geprägt von vielen äußerst kontroversen Diskussionen um die Gefahr, die von diesem Virus tatsächlich ausgeht. Vielen von uns fallen die Einschränkungen schwer, die uns auferlegt werden, um das Virus im Griff zu halten. Nach der ersten Welle schien ein Anflug von Normalität einzukehren und sehr vehement wurde ein Ende aller Maßnahmen gefordert. Mittlerweile steigen die Infektionszahlen wieder, die Diskussionen um Lockerungen oder Verschärfungen nehmen wieder an Fahrt auf.

Was mich bestürzt ist die Tatsache, wie ignorant und verletzend zum Teil mit Menschen umgegangen wird, die die Krankheit durchgemacht haben und von ihren Erfahrungen berichten. Da wird von “Instrumentalisierung” und “Panikmache” gesprochen, die Schuld wird bei den Berichtenden gesucht, der Ton ist kaum zu ertragen und weit unter der Gürtellinie.

 

Ich habe mich mit Annika Söllinger unterhalten, die gemeinsam mit mir Laufbotschafterin beim EVL HalbMarathon ist Leverkusen ist. Annika ist Sportstudentin und Trainerin. Sie ist Läuferin und Triathletin, jung, sportlich und gut trainiert. Sie gehört also zu den Menschen, die in keinster Weise zur Risikogruppe gehören. Der Krankheitsverlauf war bei Annika eher mild.

Nach vielen Wochen kämpft Annika heute immer noch darum wieder Sport treiben zu können. Die Langzeitschäden beeinträchtigen sie derart, dass an einen Lauf oder eine intensive Einheit auch heute noch nicht zu denken ist. Bei aller Sehnsucht nach Normalität und bei aller vermeintlichen Gewissheit, dass wir Sportler gut gerüstet sind, kann es auch anders laufen. Und ich denke es lohnt sich zu hören, was Annika zu berichten hat.

Liebe Annika, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast uns über Deine Geschichte zu berichten! Du bist Sportstudentin und hattest einige Ziele. Erzähl doch mal, wie Dein Training vor Corona aussah.

Seit meinem zwölften Lebensjahr mache ich Triathlon und seitdem hatte ich immer einen großen Traum: Einmal einen Ironman 70.3 finishen. Vor Corona habe ich mich endlich für meine erste Mitteldistanz im Triathlon vorbereitet. Im August sollte es soweit sein: Der Start beim Ironman 70.3 in Duisburg. Dafür habe ich dementsprechend viel trainiert. Ab September 2019 habe ich systematisch das Schwimmen und Laufen trainiert. Da ich zu der Zeit für ein Auslandssemester in Spanien war, musste das Radfahren noch etwas warten. Ab Februar 2020 trainierte ich alle drei Disziplinen, jeweils zwei- bis dreimal pro Woche, und auch das Krafttraining durfte natürlich nicht fehlen. So kam ich vor Corona auf meist sieben bis acht Einheiten pro Woche, die eigentlich in den folgenden Wochen noch weiter ausgebaut werden sollten. Dazu kam es ja dann leider nicht mehr.

 

Ja, da wurde Dir ja ziemlich plötzlich ein Strich durch die Rechnung gemacht… Wie hast du gemerkt, dass Du Dich angesteckt hattest und wie hast du die Krankheit erlebt?

Ich hatte zunächst sehr starke Kopfschmerzen, was ich so von mir überhaupt nicht kannte. Da habe ich bereits vermutet, dass ich mich angesteckt habe, weil mein Bruder Kontaktperson mehrerer Infizierter war, zu dem Zeitpunkt aber noch nicht getestet wurde. Am nächsten Tag wurde er getestet und sobald sein positives Ergebnis vorlag, wurde auch ich getestet. In der Zwischenzeit bekam ich leichten Husten, Schnupfen und zeitweise leichte Atemnot und ein Schwächegefühl. Hinzu kam außerdem ein Geschmacks- und Geruchsverlust. Die Symptome klangen nach ungefähr 1,5 Wochen wieder ab und ich war zuversichtlich, nach der Quarantäne sofort wieder ins Training einzusteigen. Doch nach einigen Tagen entwickelte sich plötzlich ein sehr starker Husten mit Atemnot. Im Liegen konnte ich nur sehr schwer atmen und teilweise bekam ich Panik, weil ich das Gefühl hatte zu ersticken.
Einige Tage später machte ich einen Termin bei einer Lungenfachärztin, die mir ein kortisonhaltiges Asthmaspray verschrieb, das ich seitdem zweimal täglich nutze. Infolgedessen nahmen die Beschwerden nach und nach ab und bald ging es mir in Ruhe wieder gut. Die Probleme während kleinerer Belastungen blieben aber. Zu Beginn fiel es mir sehr schwer Treppen zu steigen, da ich kaum Luft bekam. An Training war lange nicht zu denken.

 

Während der Erkrankung und in der Quarantäne hast Du also gar keinen Sport getrieben und komplett pausiert?

Während der Erkrankung und in den folgenden zwei Monate habe ich komplett pausiert. In den ersten Wochen war ein Training sowieso undenkbar. Ich fühlte mich sehr schwach und meine Lunge erholte sich nur langsam. Als es mir wieder etwas besser ging, habe ich mich nicht einmal getraut leichtes Krafttraining zu betreiben, da ich weitere Komplikationen, wie beispielsweise eine Herzmuskelentzündung, unbedingt vermeiden wollte. In dieser Zeit war ich oft spazieren und ich habe meine Distanz, die am Anfang sehr kurz war (ca. 2km), immer weiter gesteigert.

 

Und irgendwann hast Du dann den Entschluss gefasst wieder in das Training einzusteigen. Wie erging es Dir beim Wiedereinstieg?

Der Wiedereinstieg war hart und nicht so wie ich es mir gewünscht hätte. Der erste „Lauf“ war der Horror. Nach wenigen Metern begann meine Lunge zu brennen und ich habe es irgendwie geschafft drei sehr langsame Kilometer zu laufen. Im Anschluss hatte ich den ganzen restlichen Tag mit Atemproblemen und Husten zu kämpfen. So ging es einige Wochen, in denen ich ungefähr zwei Mal pro Woche gelaufen bin. Nach einiger Zeit konnte ich die Distanz dann aber etwas steigern und seit Ende Juni kann ich sogar wieder 5 Kilometer laufen. Ich wollte unbedingt für den virtuellen EVL-HalbMarathon diese Marke schaffen.
Das klingt auch erstmal gut, aber ich habe gemerkt, dass ich meinen Körper überfordert habe. Mir ging es nach jedem Lauf schlecht, weshalb ich Anfang Juli beschlossen habe, mein Training noch einmal zu unterbrechen. Statt Laufen hieß es nun: Krafttraining, Spazierengehen und Wandern. Und so sieht mein „Training“ auch jetzt noch aus, da mich eine Erkältung noch einmal richtig aus der Bahn geworfen hat und meine Lunge dadurch wieder sehr gelitten hat.
Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen oder Wochen wieder mit kurzen Läufen einsteigen kann und dass mein Körper jetzt wieder bereit ist. Mir ist bewusst geworden, dass der Wille alleine manchmal nicht reicht und die Gesundheit im Vordergrund stehen muss. Deshalb werde ich mich nun wieder langsam steigern und hoffentlich in der nächsten Saison wieder an der ein oder anderen Startlinie stehen.

 

Dafür drücke ich Dir ganz doll die Daumen!! Und ich wünsche Dir ganz viel Kraft, die Geduld auch weiterhin aufzubringen. Wie viele Sportler haben genau damit richtig große Probleme….

Wie erlebst Du die aktuelle Stimmung in Sachen Corona?

Die aktuelle Stimmung ist ja irgendwie schwer zu greifen. Einige Personen in meinem Umfeld sind noch immer sehr vorsichtig, andere hingegen führen ihr Leben wie vor der Pandemie fort und halten sich kaum noch an die Regeln. Ich bin immer hin- und hergerissen. Einerseits kann ich die Menschen verstehen, die einfach wieder „normal“ weitermachen möchten, andererseits muss man natürlich ganz klar sagen, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist.
Wenn ich dann Online und im Fernsehen Bilder der sogenannten „Hygienedemos“ sehe, werde ich einfach nur wütend. Diese Personen bringen ja nicht nur sich selber, sondern auch ihr komplettes Umfeld in Gefahr. Niemand kann vorhersehen, wen es stärker oder schwächer trifft. Natürlich sind Menschen aus den Risikogruppen gefährdeter, aber wie man an mir sieht, kann es auch junge, sportliche und gesunde Personen treffen und leider bin ich kein „Einzelfall“ wie es gerne von „Corona-Gegnern“ kommentiert wird. In meinem Umfeld gibt es einige Personen, älter und jünger, zum Teil sehr sportlich und vor allem alle ohne Vorerkrankungen, die noch Monate später die Folgen der Erkrankung spüren. Natürlich geht es nicht allen so, aber deshalb sind wir noch lange keine Einzelfälle.
In dieser Situation sollten wir in erster Linie auch nicht nur an uns selber zu denken. Natürlich können Viele die Erkrankung wegstecken, aber es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass wir Familienmitglieder, FreundInnen und Bekannte, aber auch Fremde anstecken, die infolgedessen mit starken Folgen bis hin zum Tod rechnen müssen. Im Moment erlebe ich unsere Gesellschaft auf der einen Seite sehr hilfsbereit und rücksichtsvoll, auf der anderen Seite wird aber wieder deutlich, dass einige Menschen nur ihr eigenes Wohl im Blick haben und dies auch mit der Teilnahme an „Hygienedemos“ oder durch verletzende Kommentare in sozialen Netzwerken immer wieder beweisen.

 

Du hast den ein oder anderen Shitstorm erlebt, nachdem Du etwas zu der Thematik gepostet hattest. Magst Du davon einmal erzählen?

Nachdem ich auf Twitter von meiner Erkrankung und den Folgen berichtet habe, wurde ich von vielen UserInnen angefeindet. Meine Glaubhaftigkeit wurde angezweifelt, ich wurde ausgelacht, mir wurde unterstellt, ich würde Märchen erzählen und Panik verbreiten, Einsicht in meine Krankenakte wurde gefordert und ich wurde beschuldigt, dass ich vom „System“, den Medien und der Politik instrumentalisiert wurde. Außerdem wurde mir die Schuld in die Schuhe geschoben, weil ich ja zu viel und falsch trainieren würde oder zu dünn sei (diese Leute wissen weder wie ich trainiere noch wie ich aussehe, da ich auf Twitter keine Bilder poste). Mir wurde gesagt, ich sei (mit 27 Jahren) zu jung für eine Mitteldistanz und man müsse dafür viele Jahre trainieren. Dabei wurde mir klar, dass viele Menschen die „Schuld“ immer bei anderen suchen und immer meinen, dass sie alles besser wissen.
Beispielsweise die letztgenannte Behauptung, dass ich zu jung sei und noch nicht genug trainiert habe. Die Person kennt mich nicht, weiß nichts über mich und weiß dementsprechend nicht, dass ich diesen Sport seit 15 Jahren beitreibe. Außerdem weiß sie nicht, dass ich ein Sportstudium abgeschlossen habe, eine Trainerlizenz besitze und mich dadurch recht gut ausgebildet fühle.
Diese Menschen unterstellen anderen Personen im Internet Dinge, von denen sie leider oft selber einfach keine Ahnung haben und führen sich auf wie WissenschaftlerInnen.
Zunächst hat mich dieser „Shitstorm“ echt hart getroffen und ich habe die Schuld wirklich kurzzeitig bei mir gesucht. Nach einigen Tagen und vielen Gesprächen mit FreundInnen, wurde mir dann klar, dass der Fehler nicht bei mir liegt und ich mir diesen Schuh nicht anziehen muss. Die Krankheit hat mich getroffen, aber letztendlich weiß niemand, ob mein Lebensstil diese verstärkt hat oder ob es schlicht und einfach Pech war.

 

Wie geht es Dir aktuell und wie sieht Dein Training heute aus?

Aktuell geht es mir definitiv besser als im Frühling, aber noch lange nicht so gut wie vor Corona. Gerade die Erkältung vor einigen Wochen hat mich noch einmal weit zurückgeworfen und ich beginne gefühlt wieder bei ganz von vorne. Das Krafttraining habe ich wieder aufgenommen und generell versuche ich meinen Alltag sehr aktiv zu gestalten. Ich gehe viel zu Fuß, was in Wuppertal (mein Studien-, Arbeits- und Praktikumsort) schon eine Herausforderung ist, wenn man nicht so richtig fit ist, da man immer wieder einige „Berge“ hochmuss. Für die nächste Woche habe ich mir vorgenommen einen erneuten Laufversuch zu starten und ich hoffe, dass meine Lunge jetzt wieder mitspielt. Inzwischen sind mir Strecken und Zeiten echt egal und das heißt bei mir schon viel. Ich möchte einfach mal wieder ohne schmerzende Lunge und Atemproblemen schwimmen, Rad fahren und laufen.

 

Was sagen die Ärzte, wie es bei Dir weitergehen wird?

Meine Lungenfachärztin kann da momentan auch nicht viel zu sagen. Ich werde jetzt bis Februar weiter das kortisonhaltige Asthmaspray und ein Salbutamolspray nutzen und immer wieder ausprobieren, was mein Körper so zulässt. Sie sagte mir auch, dass diese Problematik nicht nur bei mir auftritt. Es gibt aber wohl leider noch keine Hinweise darauf, was genau die Symptome auslöst. Sie sagte mir, dass ich immer wieder ausprobieren soll, was geht und was nicht und dass ich meinen Körper, insbesondere meine Lunge, nicht überfordern soll. Dementsprechend hoffe ich einfach, dass es ab jetzt bergauf geht und ich bald wieder so fit wie vor Corona sein werde.

Solange kann ich nur immer wieder sagen: Seid weiterhin vorsichtig und rücksichtsvoll. Wir SportlerInnen sind leider nicht so unverwundbar wie wir es gerne hätten und auch uns kann Corona treffen.

Also, haltet bitte weiter Abstand, tragt Masken und bleibt gesund!

 

Vielen herzlichen Dank für Deine Zeit und den offenen Bericht, liebe Annika. Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass es jetzt endlich steil bergauf geht und Du wieder in ein Training einsteigen kannst.

 

 

 

Möchtest Du weiter auf dem Laufenden bleiben? Dann melde Dich hier für meinen Newsletter an: http://s613808137.online.de/newsletter-anmeldung/

Corona, Covid-19, Laufen, Laufsport, Sportler, Training, Wiedereinstieg