Sport und Schmerz
Ich habe mich vor einigen Tagen gefragt, ab welchem Wert auf einer Schmerzskala von 1 (kein Schmerz) bis 10 (maximaler Schmerz) Sportler das Training aussetzen würden. In einer kleinen Umfrage, die ich dann spontan gestartet habe, bekam ich alle Werte von 1 – 11 genannt, mit Ausnahme der 9.
Das Thema Sport und Schmerz spielt in meiner Arbeit eine große Rolle und ich mache mir darüber beständig viele Gedanken. So gut wie jeder Sportler wird im Training immer mal wieder Schmerzen verspüren. Da ich viel mit Klienten arbeite, die aus einer zum Teil sehr langwierigen Verletzung, oder aus einer OP kommen, ist der Schmerz auch hier von großer Bedeutung und tatsächlich nicht nur negativ zu sehen. Der Schmerz ist gerade im Training nach Verletzungen ein wichtiger Faktor um die Belastung und die Trainingsintensität steuern zu können.
Ich möchte Euch im Folgenden ein bisschen mitnehmen und versuche, Euch an meinen Überlegungen ein wenig teilhaben zu lassen.
Ich betone wieder einmal, dass ich Trainerin bin und keine Ärztin und keine medizinischen Ratschläge erteile. Seht also bitte alles, was ich sage und schreibe, immer vor diesem Hintergrund. Zudem ist das Thema so vielschichtig, dass ich an vielen Stellen nicht zu sehr in die Tiefe gehen kann. Wer sich für einen Aspekt vertiefend interessiert darf sich jederzeit gerne melden.
Aus meiner Sicht haben Schmerzen im Zusammenhang mit Sport zwei grundverschiedene Seiten:
Sport kann (1.) Schmerzen lindern, aber (2.) auch verstärken und auslösen.
Hier fangen meine Überlegungen schon an: wann ist es wichtig sich zu bewegen, um den Schmerz zu lindern und wann ist Pause oder Schonung angesagt, um Schmerzen nicht provozieren oder auszulösen?
Ich habe dabei oft zwei Kommentare im Kopf:
- Der Läufer, der vielen Schmerzen mit dem Spruch „das läuft sich raus“ begegnet und
- der Sportmediziner, der sagt: „Sportmedizin ist in den seltensten Fällen absolute Pause“.
Beide sind also grundsätzlich erstmal der Meinung, dass Bewegung gut und richtig ist. Aber, ich bin der Überzeugung, dass zur Beurteilung, ob sich ein Schmerz tatsächlich „rausläuft“, oder ob doch eine Pause, oder eine reduzierte Trainingsintensität, bzw. ein reduzierter Trainingsumfang angesagt ist, wichtig ist, die genaue Ursache des Schmerzes zu kennen: Resultiert ein Schmerz vereinfacht gesagt aus zu wenig, oder aus zu viel, oder falscher Bewegung?
Beginnen wir mal mit dem Thema “zu wenig Bewegung”.
Vielen Schmerzpatienten ist bewusst, dass sie ihre Beschwerden durch eine sinnvolle sportliche Betätigung oder ein größeres Maß an Bewegung lindern können. Unser Arbeitsalltag und auch unsere Freizeitgestaltung ist jedoch von immer weniger Bewegung geprägt. Langes Sitzen am Arbeitsplatz, durch die Arbeit im Homeoffice wegfallende Wege zur Arbeit, die Beliebtheit von Computerspielen und Netflix & Co. führen zu nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen wie z.B.
- Übergewicht
- Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
- Infektionsanfälligkeit
- Einschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates
- Allgemein reduzierte Leistungsfähigkeit
- …
Viele dieser Einschränkungen sind von zum Teil ausgeprägten Schmerzen begleitet, schwerpunktmäßig in Muskeln (z.B. Rücken, Schultern, Nacken, Beine), Gelenken (z.B. Hüfte, Knie, Sprunggelenke, Ellenbogen, Schultern) und Bandscheiben (z.B. LWS, HWS). Bewegung, in einer ausreichenden Intensität und Sport, ebenfalls in ausreichendem Umfang und Intensität, sind hier tatsächlich das Mittel der Wahl, um Schmerzen zu lindern und eine größere Lebensqualität zu erreichen. Das durfte ich in den letzten Jahren bereits vielen ehemaligen Sportmuffeln beweisen, für die Bewegung mittlerweile nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist.
Demgegenüber stehen die Bewegungsfans, für die Schmerzen mehr als lästig sind, da sie doch möglicherweise dazu führen könnten, dass das Sporttreiben nicht wie gewohnt möglich ist. Und hier sind wir dann auch schnell bei dem Thema “zu viel oder falsche Bewegung”.
Jetzt schauen wir doch einmal kurz auf meine kleine Umfrage, denn interessant waren nicht nur die reinen Zahlen, sondern auch die Begründungen:
- Bei der (1) wurde als Begründung mehrfach die Angst vor einer wieder auftretenden Verletzung angegeben.
- Bei (3-4) stand da: „früher eher so bei 8, jetzt bin ich schlauer und wähle 3-4“.
- Dann gab es ein „ich bin leider erst so ab (6) raus“, oder ein
- „vermutlich (7) – jetzt gibt es gleich Schimpfe“.
- Die höheren Werte (8), (10) und (11) kamen dann mit dem Kommentar „wenn es einfach gar nicht mehr möglich ist“.
- Besonders häufig und immer ohne Kommentar wurden übrigens die 3 und 4 genannt.
Das alles ist ein recht guter Querschnitt dessen, was ich in meiner Arbeit erlebe. Viele der Sportler, die an der Umfrage teilgenommen haben, kenne ich persönlich und bei fast allen würde ich die gegebene Antwort unterschreiben und habe genau diese Zahl (und auch die Begründung) erwartet.
Viele Sportler, die mit schweren oder lang andauernden Verletzungen zu kämpfen hatten, sind häufig extrem sensibel und reagieren auf das kleinste Anzeichen eines Schmerzes in ihrem Körper. Erstrecht dann, wenn der Schmerz an der bekannten Stelle auftritt. Hier beobachte ich dann oft, dass durch das ständige Scannen und “in sich reinhorchen” Schmerzen erst entstehen oder verstärkt werden. Dadurch, dass der Sportler versucht den Schmerz zu vermeiden, wird der Sport mit Schonhaltungen und Ausgleichsbewegungen betrieben, die zu Dysbalancen oder unrunden Bewegungsabläufen führen. Das leiseste Anzeichen eines Schmerzes wird als Anlass genommen die Trainingseinheit abzubrechen, bzw. gar nicht erst zu starten. Hier sind ganz viel Einfühlungsvermögen und viel Sachlichkeit gefragt, um den Fokus auf andere Dinge zu lenken als den (vermeintlichen) Schmerz.
Das andere Extrem sind die besonders ehrgeizigen, leistungsorientierten oder vermeintliche „harten“ Sportler, die trotz heftiger Schmerzen weiter trainieren. No pain, no gain. „Angepasst“ wird das Training oft nicht gezielt und aus eigenem Antrieb, sondern dadurch, dass der Körper schlicht und ergreifend nicht mehr kann und streikt. Im besten Fall können größere Leistungen einfach nicht mehr erbracht werden, oder bremst eine kleine Erkältung mal kurzfristig aus, im schlimmsten Fall entstehen schwere und/oder chronische Verletzungen, die entweder lange brauchen, um zu heilen, oder dazu führen, dass der Sport nicht mehr durchgeführt werden kann.
Wenn ich von zu viel oder falscher Bewegung spreche, dann denke ich z.B. an eine zu schnelle Steigerung des Trainingsumfangs und/oder der Trainingsintensität, zu wenig Ruhepausen oder eine schlecht ausgeführte Bewegung, bzw. schlechte Technik. Hieraus können Überlastungsbeschwerden entstehen, die durchaus sehr ausgeprägt sein können. Gerade dann, wenn ein Sportler beginnende Beschwerden, also Schmerzen(!), nicht ernst nimmt und zu lange mit Schmerzen weitertrainiert. Eine zunächst einmal “harmlose” Überlastung (das kann mal passieren), die früh erkannt und der schnell begegnet wird, ist ebenso schnell wieder behoben. Wird sie ignoriert, kann daraus eine ernstzunehmende und langwierige Verletzung mit oftmals langer Sportpause resultieren.
Schmerz ist und bleibt ein Warnsignal des Körpers und sollte ernst genommen werden.
Ich versuche einmal ganz konkret zu werden, ab wann aus meiner Sicht ein Training nicht mehr wie geplant durchgeführt werden sollte. Lasst mich die Schmerzskala einmal etwas genauer definieren:
Aus meiner Sicht ist der Moment, ab dem eine Bewegung nicht mehr sauber durchgeführt werden kann, der späteste Zeitpunkt, an dem das Training mindestens überdacht und angepasst werden sollte.
Jeder, der jetzt sagt, dass das ja bei jedem ein bisschen unterschiedlich ist, hat damit recht. Der eine Körper toleriert mehr Schmerzen als der andere. Dennoch kann bei jedem die Skala oben angewendet werden. Vielleicht spüre ich Schmerzen früher als mein Laufpartner und ein Schmerz, der meine Bewegungen beeinträchtigt, tut das bei ihm noch nicht. Dennoch ist das der Moment, ab dem ich mein Training überdenken und ggf. pausieren sollte.
Wenn Du Schmerzen verspürst, solltest Du nach der Ursache forschen. Die wenigsten Schmerzen laufen sich einfach so raus oder vergehen von allein. Wichtig zu wissen ist zudem: die wenigsten Schmerzen haben ihre Ursache an der Stelle, an der sie auftreten. Es macht also Sinn herauszufinden, woher genau die Beschwerden kommen und dann die Ursache gezielt zu bearbeiten. Suche Dir hierbei gerne Unterstützung. Fast immer hilft ein neutraler und fachkundiger Blick von außen.
Bis der Schmerz weg ist, gilt es die Bewegung in einer Form anzupassen, die geeignet ist, die Beschwerden nicht weiter zu verschlimmern und der Ursache des Schmerzes entgegenzuwirken.
Mir ist wichtig, dass Ihr Euch und Euren Körper wichtig nehmt und nicht durch falschen Ehrgeiz eine Verletzung oder eine längere Pause riskiert. Bleibt gesund.
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